Zur Sache

Vanja Kirchhoff durchzuckt als stiller Blitz den Horizont der aktuellen deutschsprachigen Musik. Mit der Ladung Lieder, an der er sich und seine Sprache übt, hat das Medium „Pop“ sich – spätestens durch Vanjas Aufnahme in den renommierten Hamburger „Popkurs“ – den blondgelockten Ernstfall ins Haus geholt. Ob die romantischen Töne seiner Musik, die kindlichen Reime aus alten Wortschätzen, die andeutungsvollen Klänge der Frühe und der Späte uns vertraut erscheinen oder die Unmöglichkeit uns befremdet, ihnen hier und jetzt ihre Gattung zuzuweisen; ja ob die Tradition und das Erbe sich für die Kunstform der Adoleszenz und des schnellen Verbrauchs in Anspruch nehmen lassen, oder einzig die fallenden Funken dieser Verbindung zu fangen bleiben – gerade aus dieser Schwebe bescheidet der religiös musikalische Spielmann Vanja Kirchhoff sich nach aller Einsicht in die Zeichen der Zeit auf das autodidaktische Maß von Liedern, deren innerste Frage allein zu Gesang wird.

Jüngstes Glied einer Theaterfamilie, alle Rollen vergeben, alle Dramen bis zurVergeblichkeit durchspielt vorfindend, stieß Vanja auf das, was den Prüfungen seinerLehr- und Wanderjahre als unteilbar standhielt: Das Wort, das gesungen ist, daszerstreute und gesammelte Liedgut seiner Sprache, ja „alles, was Lied ist“ (Biermann, Dylan übersetzend), und was künftig noch Lied werden mag.

„Tuʼs mir zum Gedächtnisse, nimm und iss selbst, wie geschrieben steht, honigsam süß, / Im Buche der Wächter, der Riesen und Lieder, der alten und bösen ...“, minnt er nicht ohne Witz, noch jung an Jahren, in seinem doch schon „Testament“ überschriebenen Abgesang. Im Spiel ist hier freilich nicht nur jenes „Buch der Lieder“, welches Heinrich Heine von den Horden der Zukunft bereits zu Schnupftabaktüten verarbeitet sah, sondern die romantische (Ent-)Bindung des Einen Liedes in allen Dingen überhaupt.

Inmitten eines Popmainstream, der sich weiterhin in schnell- und kurzgegriffenen Nachahmungen verliert, während die tonangebenden Subkulturen am anderen Ende längst wieder Knarren statt Gitarren bespielen, lehrt Vanjas Griff zum eigenen Lied als dem in Tagen der mobile apps noch sendungsfähigen Überlieferungsformat, von jenem metaphysischen Lied im Ganzen resonieren zu lassen, was – auch nach Verblassen aller romantischen Hoffnung – zu „singen und sagen“ bleibt.